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Oh, Tannenbaum

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Oh du schöner Tannenbaum!
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AutoreninfoSylvia Koppermann
aktualisiert: 27.01.2020Mehrfache Mutter u. Autorin
Medizin, Gesundheit und Erziehung
Ich war es leid!

Jedes Jahr das gleiche Theater, wenn es um den Weihnachtsbaum ging. Meinen allerersten Tannenbaum kaufte ich, nachdem ich aus meinem Elternhaus ausgezogen war, mit meinem berüchtigten Augenmaß. Endlich wollte ich mehr als ein winziges, minderjähriges Bäumchen, das man auf einen Eckschrank stellen musste, um ihm ins Gesicht sehen zu können.

Ich wollte einen Monumental-Baum, so einen, der sich vom Boden bis zur Decke erstrecken würde.

Mindestens aber 1,5m hoch!

Ein wenig verschätzte ich mich schon und schleppte schließlich eine Fichte nach Hause, für die man nicht einmal einen Weihnachtsbaumständer brauchte. Da, schnitt man oben und unten etwa einen Meter ab, der genau zwischen Fußboden und Zimmerdecke geklemmt werden konnte, wobei er das einzige Fensterchen im Wohnzimmer meiner Dachgeschosswohnung, komplett verdeckte.

Das wiederum hatte nicht nur Nachteile, denn so brauchte ich den Baum nur von vorn schmücken.

Was heißt brauchte?


Etwas anderes blieb mir gar nicht übrig, denn an die Seiten oder hinten, kam ich überhaupt nicht mehr heran. Ich zog eine Lehre daraus und schickte im Folgejahr meinen damaligen Mann zum Kauf eines Baumes.

Fast einen ganzen Tag ward er nicht mehr gesehen, um am späten Abend fröhlich nach Hause zu kommen. Neben dem Weihnachtsbaumverkaufsstand war eine Glühweinbude, an der er mit seinem Freund über mehrere Stunden den geplanten Kauf explizit besprochen hatte.

Unter dem Arm hielt er einen Besenstiel mit ein paar trockenen Zweigen, deren Nadelkleid artig vor der Haustür abfiel. Jedoch war das in seinen Augen der schönste Tannenbaum seit Christi Menschwerdung.

Am nächsten Morgen sah er dies zwar anders - kein Wunder, die rosarote Glühweinbrille hatte sich ja über Nacht auch aufgelöst. Nur war es zu spät, einen anderen Baum zu kaufen und so betete ich, mit jeder Kugel, die ich vorsichtig an die dürren Äste hängte, mir keine Anzeige wegen Körperverletzung einzuhandeln. Mit jedem Weihnachtsfest wuchs der Vorsatz, dieses Mal DEN Tannenbaum zu kaufen, genau DEN, an den man sich später noch im Kreise der Enkel erinnert und in Stolz schwelgt. Doch immer wieder vertagte ich den Vorsatz auf das kommende Weihnachtsfest.

Dann, endlich schien es, als wären meine Gebete erhört worden.

Anbetend trug ich eine Fichte nach Hause, die nur für mich gewachsen zu sein schien, mit jedem Ästchen so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ehrfürchtig schmückte ich ihn in lila, rosa und weiß, wässerte sein trockenes Füßchen und ertappte mich sogar dabei, wie ich liebevolle Gunstbezeugungen in sein Nadelkleid flüsterte. Stundenlang stand ich seufzend vor ihm und war mir sicher, dass dieses Juwel aller Weihnachtsbäume in der Geschichte der Menschheit war.

Der nächste Tag, war der heilige Abend.

Aufgeregt stürmte meine älteste Tochter, damals noch ein Einzelkind, in die Stube und jubelte vor Freude, was meine stolze Brust noch mehr anschwellen ließ. Das verzückte Juchzen meines Kindes versetzte nun aber auch unseren Hund in Neugier, der wie vom wilden Affen gebissen, ins Wohnzimmer gestürmt kam, sich dabei im Kabel der Lichterkette verhakte, einen eleganten Salto schlug und schließlich, an den Baum gefesselt, wie ein Gefangener am Marterpfahl, mit selbigen, mitten in der Stube einschlug.

Ich stand inmitten des Chaos und plärrte.

Die Hälfte der Kugel war zerschmettert und das ehemalige Nadelkleid konnte man bestenfalls noch als Nadelbikini bezeichnen. Mit Tränenbächen füllte ich den Fuß auf, dübelte eine Schraube in die Wand, die selbst ein Ochse nicht wieder herausgezogen hätte und band mein verletztes Bäumchen mit Paketkordel fest.

Die fehlenden Kugeln glich ich durch zwei weitere Pakete Lametta aus und man hätte fast nichts mehr von dem Unfall erahnen können, wenn nicht ausgerechnet an diesem Weihnachtsfest meine Tochter eine Puppenküche bekommen hätte. Es war meine eigene Unachtsamkeit, als ich erst viel zu spät bemerkte, wie mein Baum weiter strippte.

Wir Erwachsenen saßen am Esstisch, bei einem Glas Wein und meine Tochter spielte Restaurant mit uns. Ob wir denn Nudeln wünschten, fragte sie uns formvollendet und wir kicherten, wie niedlich wir ihr Spiel fanden. Bis zum Servieren des Hauptgangs: Einen tiefen Teller voll Lametta, reich garniert mit Tannennadeln.Keine drei Stunden nach der Bescherung, teilten sich mindestens zwei Äste meines Weihnachtsbaumes drei Nadeln. Nachdem die Kleine im Bett war, saß ich müde auf dem Sofa. Aus dem Radio dudelte leise Musik und vom Weihnachtsbaum ploppte es im Takt.

Verwundert sah ich mich um.

Eine Kugel nach der anderen, die den Anschlag des Hundes überlebt hatte, stürzte sich in die Tiefe, um am Boden zu zerschmettern. Aus den Zweigen erklang dazu ein siegreiches Kichern und ich musste zwei Mal hinsehen, bis ich die Wellensittiche entdeckte, die in Gemeinschaftsarbeit die Äste durch knabberten.

Wütend stürzte ich zum Baum, verscheuchte die Vögel, berührte dabei den Stamm, hörte ein verträumtes Rieseln und stand vor einem Skelett, das nun so gar nicht mehr an einen Baum erinnern wollte.

Um halb drei morgens, am ersten Weihnachtstag, schallte es “Achtung, Baum fällt!”, während ich, diabolisch grinsend, die Fichte aus dem Fenster warf. Der nächste Weihnachtsbaum war eine Edeltanne, mit Wurzeltopf. Im ersten Jahr noch klein, tröstete ich mich, dass sie ja über den Sommer wachsen würde und ich so jedes Jahr einen größeren Baum zum Schmücken hätte. Vier Jahreszeiten zogen ins Land, der Advent neigte sich dem Ende und endlich stand der Heilige Abend wieder vor der Tür.

Stolz schleppte ich den schweren Topf ins Haus, hievte ihn auf den Eckschrank und ließ ihn sich an die Raumtemperatur gewöhnen.

Irgendetwas müffelte!

Ich suchte die ganze Wohnung ab, doch meine Nase führte mich immer wieder zum Baum.

Ein bisschen näher,... noch näher... tatsächlich, die Edeltanne stank bestialisch nach Hundepipi. Der Hund meines Vermieters hatte nicht die Rosen des Hausherren oder die Küchenkräuter des Frauchens zum Markierungspunkt gewählt, nein, diese alte, Floh verseuchte Fußmatte benutze MEINEN Weihnachtsbaum als Klo. Da half nichts. Weder Fichtennadel-Raumspray, noch Duftbäumchen, statt Kugeln, der Baum war ungenießbar.

So blieb dann keine andere Wahl, als die allerletzte Tanne unter Schubsereien mit kaufwütigen Konkurrenten zu erobern, ein paar Zweige aus der Hecke unseres Nachbarn zu mopsen und diese in die klaffenden Lücken zu stopfen, um wieder einen Baum zu haben, an dem sich zumindest Picasso erfreut hätte. Das war für mich der endgültig letzte Akt!

Im kommenden Jahr steuerte ich am Weihnachtsbaumverkaufsstand vorbei, direkt in den nächsten Baumarkt.

Dort stand er: mein Baum der Zukunft!

Groß, voll, lückenlos und 100% künstlich.

Dieser Baum würde sich nicht vor den Augen meiner unschuldigen Kinder ausziehen. Er würde nicht vertrocknen und seine Nadeln in der gesamten Wohnung verteilen, dass man sie noch Ostern aus den Teppichschlaufen ziehen konnte. Dieser dunkelgrüne Traum roch zwar nicht nach Wald, dafür stank er auch nicht nach Hundepipi und erst recht würde nicht einmal ein Specht es schaffen, seine Formen zu modellieren.

Imposant steht er nun zu jedem Weihnachtsfest in unserer Stube. Und während bei mir ab dem Heiligen Abend das Telefon nicht stillstehen will, weil Freundinnen und Verwandte in den Hörer schluchzen, welch schön getrunkene Trauerweide der Gatte nach Hause geschleppt hat, wie oft die Katzen erfolgreich eine Rodung der Fichte mit Überschlag übers Weihnachtsbuffet absolvierten, oder dass die romantische Verführung unterm Tannenbaum zu einer Fakirnummer ausartete, zwinkere ich meiner Plastiktanne zu und versichere ihr immer wieder: “Oh Tannenbaum, wie treu sind Deine Blätter!”

[SyKo

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